21. Dezember 2021

Erziehung mit Gefühl

Gefühle lesen lernen - Schlüssel für deine Work Child Balance

„Mama, du und deine Scheiß-Arbeit! Ich will nicht, dass du wegfährst!“ Geschrei, Festklammern, Weinen, Strampeln, Toben …. Ein Gefühlsausbruch wie ein Vulkan, der vielleicht schon lange vor sich hin gebrodelt hat, ohne dass du es bemerkt hast. Was macht das mit dir als Mutter? Du fühlst dich überschüttet - hilflos der Situation ausgeliefert.  Es hilft nichts, du musst dein Kind im Gefühlschaos zurück lassen und fährst mit einem dicken Kloß im Hals und einem Sch…Gefühl zur Arbeit.

„Wer zur Hölle will mir in so einer Situation noch was von Work Child Balance ins Ohr flöten?“ denkst du vielleicht jetzt.  

ICH. Ich will es dir zwar nicht ins Ohr flöten, sondern dir genau für solche Sch…Situationen einen Schlüssel geben. Denn für mich war genau so eine Szene ein echtes Sch…lüsselerbnis als Working-Mum. Warum?

Lass dir dazu zunächst eine Episode aus meinem Leben als Working Mum erzählen. Meine Tochter und ich nennen sie die „Regenbogen-Geschichte“.

Mit dem Regenbogen auf der Bettkante

Mama fährt für drei Tage zum Seminar. Abreise am frühen Abend. Die Koffer sind gepackt. Die Wäsche für die Familie ist geordnet oder hängt zumindest ungebügelt auf der Leine…

Meine Tochter ( 6 J.) schlüpft in meine Schuhe, die ich mir bereitgestellt habe. Ich stecke noch ein Kinderbuch ein, das ich als Seminarmaterial benötigen könnte.

„Ej, das ist mein Buch!“ - meine Tochter protestiert. 

„Ja, ich weiß, darf ich es mir mal ausleihen?“ 

„Wofür?“ will mein Kind wissen.

„Ich brauche es für mein Seminar!“

„Du immer mit deinen Seminaren - du sollst nicht wegfahren, du sollst hierbleiben!“ schießt es aus meinem kleinen Mädchen heraus. 

„Ich muss aber jetzt wegfahren. Das gehört zu meiner Arbeit!“ - entgegne ich.

„Scheiß-Arbeit! Immer bist du weg!“ - schreit das Töchterchen und stampft mit den Füßen auf. 

„Ach, meine Große, komm sei lieb. Ich gehe gerne arbeiten, du gehst doch auch gerne zur Schule - hast dich so darauf gefreut.“ - versuche ich zu vermitteln.

„Aber du sollst hierbleiben!“ Die ersten Tränen kullern über ihre Wangen. 

Draußen wartet das Taxi - 

„So, ich muss jetzt los, sonst verpasse ich den Zug!“ 

„Mama, Mama - bitte bleib hier!“ - schluchzt sie.

„Das geht nicht!“ - 

Sie zerrt an mir, hält mich fest, ich löse mich, sie läuft mir nach - 

bis mein Mann sie einfängt und das wild um sich schlagende Kind festhält. 

Mein Blick zurück - herz-zerreißend. Ich sitze weinend im Taxi. Im Hinterkopf pocht ein Satz, der mich immer in Stress-Situationen begleitet: „Hast du das nötig?“ - die Stimme meines Vaters. 

„Ja - ich habe das nötig! Ich habe eine Mission, die ich mit meinem Beruf verfolge!“

Ich schaue aus dem Fenster - und sehe einen Regenbogen. 

“Nach jedem Gewitter scheint auch wieder die Sonne!“ - auch das waren Worte meines Vaters. „Wie wahr! Tja, das sind die Farben des Lebens“, denke ich und finde Trost. 

Am Bahnhof herrscht Chaos - keine Verbindung mehr an diesem Abend. 

Also wieder zurück nach Hause. - 

Freudenschreie, Freudentänze. Und dann genießen wir gemeinsam unsere „Nest-Zeit“, die wir - genau genommen - der Deutschen Bahn zu verdanken haben.

Im Gespräch über den Regenbogen, den meine Tochter auch gesehen hat, versuchen wir, unsere Gefühle zu verstehen. …

Wie ich lernte, die Gefühle meines Kindes zu lesen, willst du vielleicht jetzt wissen. So ging es am Abend vor dem Schlafengehen auf der Bettkante weiter: 

„Da waren wir heute aber beide traurig, nicht wahr?“ - beginne ich.

„Ja“, seufzt meine Tochter.

„Da haben wir ja heute schon mal Abschied nehmen geübt - vielleicht fällt es uns dann morgen leichter?“, frage ich.

„Mmmh weiß nicht.“ Sie zuckt mit den Achseln. 

„Weißt du was, ich habe heute einen Regenbogen gesehen!“, sage ich.

„Ich auch, als du weggefahren warst.“ - Ihre Augen leuchten. 

„Ja, da hat uns der Regenbogen ja irgendwie verbunden, irgendwie hat er mich getröstet, dich auch?“

 „Ja, der war so schön bunt, gell?“,  strahlt sie mich an. 

„Ja!“, antworte ich, „Er hatte alle Farben, die das Leben so hat. Traurige dunkle und helle fröhliche Farben. Lila und dunkelblau - wie unser Abschied - und orange und gelb - wie unser unverhofftes Wiedersehen heute.“

Eine Weile schauen wir uns an. 

„Wann fährst du morgen?“ fragt meine Tochter. Ihre Stimme klingt fest  - nur noch ein kleiner Hauch von Traurigkeit ist zu spüren. 

„Ganz ganz früh, wenn du noch schläfst. Teresa (Kinderfrau) ist dann für dich da, wenn du aufwachst.“ 

„Weißt du, ich stell mir dann einfach den Regenbogen wieder vor  - morgen früh - so ein bisschen noch mit traurigen Farben, so dunkelrot, aber dann ist ja auch Teresa da, die wär dann orange und der Papa, der  wär gelb  und die Emily  (Freundin) wär hellgrün.“

„Ja, das ist eine gute Idee. Jetzt schlaf gut und träume in schönen Farben!“

„Gut Nacht, Mama.“

„Gute Nacht, meine Kleine.“ …

Gefühle sind wie Farben - was ist deine Lieblingsfarbe? 

Gefühle wie Farben sehen… mal tief dunkelblau und mal leuchtend orange - so kam es mir jedenfalls vor  - als ich an jenem Abend mit unserem Regenbogen auf der Bettkante saß und mein schlafendes Kind betrachtete…

Helle Freude - dunkle Trauer - dunkelrot vor Wut - schwarze Angst. Die Farben der Gefühle spiegeln sich auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch wider.

Natürlich teilen wir leichter und lieber die helle Freude. Es geht uns gut, wenn wir unsere Kinder lächeln sehen, wenn wir sie lachen hören, wenn sie fröhlich herum hüpfen und ganz in ihr Spiel vertieft sind. 

Die FREUDE ist ein positives Grundgefühl, das allen Menschen auf der ganzen Welt - egal, welche Sprache sie sprechen, im Gesicht abzulesen ist. 

Ebenso aber zählen drei weitere wichtige Gefühle zu der emotionalen Grundausstattung des Menschen: TRAUER, WUT und ANGST. Auch sie „stehen uns im Gesicht geschrieben“. Sie werden häufig als dunkle, als negative oder gar böse Gefühle beschrieben. 

Neben den vier Grundgefühlen, manchmal wird auch noch die SCHAM  zu den Basisemotionen gezählt, wird die Palette immer mehr erweitert durch komplexere Gefühle, wie z.B. NEID, HASS, EIFERSUCHT, SCHADENFREUDE, LIEBE, GLÜCK, MITLEID.

Unsere eigenen Erfahrungen, die wir als Kind  im Umgang mit den Grundgefühlen gemacht haben, prägen auch unsere Verhaltensmuster im Umgang mit den Gefühlen unserer Kinder. 

Oftmals haben wir als Kinder „gelernt“, Trauer zu vermeiden, Wut zu unterdrücken, Angst nicht zuzugeben. Schnell passiert es dann im Alltag, dass wir versuchen, die „dunklen“ Grund-Gefühle wie Angst und Trauer eher klein zu reden, einfach darüber hinweg zu trösten.

 „Du brauchst keine Angst haben“ „Wein doch nicht, sei nicht traurig.“

Und auch die Wut wollen wir oft lieber ganz vermeiden.  „Hör auf, so rum zu wüten!“ Mit einem wütenden Kind umgehen ist oft die größte erzieherische und emotionale Herausforderung. Wenn du nach einem langen anstrengenden Arbeitstag wieder mal nicht an dein „bockiges“ Kind „andocken“ kannst, wenn es beim Abschied immer Zoff gibt; 

dann heißt es, Gefühle verstehen lernen, oder wie ich es nenne: Gefühle lesen lernen, d.h.  wir lernen, Gefühle wahrzunehmen und anzuerkennen - erst dann werden wir sie wirklich verstehen können. 

Gefühle lesen klingt für dich vielleicht so schwierig wie Gedanken lesen - wie eine Fähigkeit, die wir erlernen können, sollen, müssen…. 

Eigentlich brauchen wir das gar nicht er-lernen; denn als Mutter oder Vater haben wir die Gabe, intuitiv dafür zu sorgen, dass die Grundbedürfnisse unseres Kindes gestillt werden. Und Bedürfnisse werden über Gefühle ausgedrückt.

Warum wir Gefühle (wieder!) lesen lernen

In der Welt eines Neugeborenen gibt es nur zwei Gefühlslagen: Unwohlsein und Wohlsein. 

Je weiter sich aber die Babies zum Kleinkind, vom Kind bis zum Teenager und jungen Erwachsenen entwickeln - um so differenzierter geht es in ihrer Gefühlswelt zu - bei Teenagern wird es extra kompliziert für die Eltern, die Gefühle ihrer Kinder zu lesen, geschweige denn diese zu verstehen. 🙂

  • Bei Babies wenden wir also noch ganz intuitiv eine sehr feinfühlige Kommunikation an. Wenn ein Säugling schreit und strampelt, so ist das seine perfekte Art, seine Gefühle auszudrücken. Wir lesen aus diesem Verhalten Unwohlsein ab.  Intuitiv spiegeln wir den Gesichtsausdruck des unzufriedenen oder auch des zufriedenen Babies. Dies tun wir, indem wir ihm sein Gefühl über unsere Mimik widerspiegeln. Damit zeigen wir ihm, dass wir sein Gefühl annehmen - sei es das unangenehme Gefühl oder das wohlige Gefühl.  Gleichzeitig re-agieren auf seine Bedürfnisse: Wir stillen seinen Hunger, wir wechseln die Windeln, wir nehmen es auf den Arm, drücken es an uns, befriedigen sein Bedürfnis nach Nähe. So bringen wir unser Kind wieder einen Zustand des Zufriedenseins - und das macht uns auch als Eltern zufrieden.
  • Kleinkinder nehmen ihre Gefühle schon differenzierter wahr. Sie spüren ihre Traurigkeit, ihre Freude, ihre Angst und ihre Wut. Wie Babies bringen sie ihre Gefühle in ihrem Verhalten noch ganz unvermittelt zum Ausdruck.  Allerdings fehlen einem zweijährigen Kind, das morgens an der Kita-Pforte weint, die Worte, um das zu beschreiben, was gerade in ihm vorgeht. Du kannst ihm helfen, seine Gefühle zu entdecken und zu sortieren: wenn du dich darauf einlässt, seine Gefühle in der akuten Situation anzuerkennen, anstatt sie wegschieben oder „nur“ verstehen zu wollen. 
  • Je älter die Kinder werden, um so mehr entwickeln sie Strategien, ihre Emotionen zu steuern. Dazu gehört auch, dass sie lernen,  Emotionen zu verbergen.
    Das Gefühle-Lesen wird nun viel schwieriger für uns Erwachsene und es scheint fast so, als ob wir im Laufe der Zeit immer mehr von unserer anfänglichen intuitiven Feinfühligkeit verlieren. 

Wir fragen uns: Was ist bloß los mit dem Kind? Warum komme ich nicht an es heran, warum bockt es, zieht sich zurück wie in ein Schneckenhaus? 

Wir versuchen die Gefühle zu verstehen: wir interpretieren schon, bevor wir wahrnehmen. Wir agieren rational. Immer mehr setzen wir unseren Verstand ein, suchen nach der perfekten Erziehungsmethode, nach Prinzipien und Rezepten, um auf das Verhalten des Kindes zu re-agieren, anstatt in Beziehung zu unseren Kindern und  in VER-BINDUNG mit ihren Gefühlen zu bleiben.

Gefühle verstehen - ja klar, ich weiß, was mit dem Kind los ist, - warum hilft das Wissen allein aber nicht weiter - warum helfen rationale Argumente so gar nicht weiter in angespannten Gefühlslagen?

Vor dem Verstehen steht das Wahrnehmen und Annehmen des akuten Gefühls - das heißt, das wahre Mitfühlen mit dem Kind. 

Darum helfen rationale Sätze nicht: „Ich verstehe ja, dass du wütend bist, aber so geht das nicht.“  

“Kinder sind „sehr komplizierte Geschöpfe … 

aber nichts werden euch das Glas und das Auge des Weisen sagen, wenn ihr den Glauben an uns 

und die Fähigkeit, mit uns zu fühlen, nicht habt.” 

Janusz Korczak 1925

Impulse für deine Erziehungs-Praxis  

Anstatt die dunklen Seiten der Gefühlspalette zu vermeiden, ist es wichtig, Kinder darin anzuleiten, wie sie ihre Emotionen wahrnehmen, erkennen, benennen und richtig handhaben können. So lernen sie, dass sie Trauer, Angst und Wut nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern ihre Impulse auch kontrollieren und auch mit Frustrationen umgehen können. 

Und diese Aufgabe können wir als Eltern nicht allein den Bildungseinrichtungen Krippe, Kita, Schule überlassen. Für die Entfaltung der emotionalen Entwicklungs-Bereiche sind wir als Eltern die wichtigsten Kooperationspartner. - von Geburt des Kindes an.  

Die moderne Entwicklungspsychologie spricht von der Entwicklung emotionaler Kompetenzen unserer Kinder und betont der Förderung emotionaler Intelligenz, damit sie ihre Gefühle verstehen lernen. 

Dazu ein paar Impulse für deinen Erziehungs-Alltag:

  1. Nimm die Einladung deines Babys zur Kommunikation so oft wie möglich an. Halte Blick-Kontakt und spiegele seinen Gefühlsausdruck. Hände weg vom Handy beim Stillen oder Füttern!
  1. Hilf deinem Kleinkind so oft wie möglich, seine Gefühle zu sortieren: Benenne seine Angst oder seine Traurigkeit. Zeige ihm, dass du sein akutes Gefühl an-nimmst. Erst dann weise ihm einen Weg, mit diesem Gefühl angemessen umzugehen. 
  1. Sprich mit deinem Kita- und Schulkind auch über die „dunklen“ Gefühle. Gestehe ihm zu, traurig oder wütend auf dich zu sein. Gefühle sind erst mal zum Fühlen da - erst danach kann man sie verstehen. 
  1. Lass dich vom Verhalten deiner trotzigen Kleinkinder oder pubertierenden Teenies nicht entmutigen. Sie haben wichtige Entwicklungsaufgaben zu erledigen - wollen dies meist allein schaffen. Vertrau ihnen und sei da, wenn sie dich brauchen. Ersetze dein Mitgefühl nicht einfach durch Strenge. 

Wenn du die feinfühlige Kommunikation mit Kind direkt einmal ausprobieren willst, schau dir dazu gerne mein Online-Seminar „Wie du die Beziehung zu deinem Kind stärkst.“  an.

Im Online-Seminar erfährst du:

• wie du seine Bedürfnisse und Gefühle sicher wahrnehmen kannst

• wie du am besten mit deinem Kind redest, wenn es mal „schwierig“ wird

• wie du dein Kind emotional erreichen kannst, wenn es ich in ein „Schneckenhaus“ zurückzieht.

Danke, dass du diesen ausführlichen Artikel zu „Erziehung mit Gefühl“ gelesen hast! 

Vielleicht fragst du dich gerade, wo denn der Schlüssel zur Work Child Balance abgeblieben ist?

Was ich noch nicht mit dir geteilt habe -

Meine Learnings aus der „Regenbogengeschichte“

Das begriff ich an jenem Abend mit meiner sechsjährigen Tochter: 

Hier entdeckte ich eine Form der Kommunikation, bei der ich mich immer sicher mit meinen Kindern verbunden fühlte - selbst in den Momenten des Abschieds.

Ich lernte wieder, Gefühle zu lesen, anstatt mich als „schlechte Mutter“ zu fühlen.

Ich lernte Gefühle lesen, anstatt mein ganzes pädagogisches Repertoire abzufragen oder zu hinterfragen. Ich fühlte mich so wunderbar sicher mit meiner Tochter verbunden - weil ich ihre Gefühle nicht nur verstehen, sondern auch mit-fühlen konnte - ohne mit zu leiden. 

Und ich beschloss, mir beim Abschied immer einen Zeitpuffer einzuplanen: für die starken Gefühle zwischen Tür und Angel.  

Am nächsten Morgen konnte ich ganz ohne schlechtes Gewissen zur Arbeit fahren - ein wunderbares Gefühl von Work Child Balance begleitete mich. 

Herzlichst
mit viel Gefühl
für deine Work-Child-Balance 
Dr. Lisa Lax

© 2020 Dr. Lisa Lax